Neuseeland: Paddeln im Doubtful Sound

Die erste Etappe unserer Ferien in Neuseeland 2006 war das Naturschutzgebiet Fjordland, genauer der vielleicht spektakulärste Meeresarm dort, der Doubtful Sound. In rückblickend erheiternder Selbstüberschätzung buchten wir eine viertägige Kajaktour, die uns eindrücklich in Erinnerung bleiben sollte.

Ein gelungener Tagesanfang beim Kajaken in den Fjordlands im Südwesten Neuseelands: bei Temperaturen um die 16 Grad, mit von den Anstrengungen des Vortages noch schmerzenden Gliedern, früh am Morgen zuerst in triefend nasse dicke Wollsocken und Badehose steigen, danach so schnell wie möglich den ebenso kühlen wie nassen Wetsuit überstreifen, weiter mit dem fürchterlich stinkenden und natürlich ebenfalls nassen Polyester-Pullover, die an den eng anliegenden Armelbünden tropfnasse Regenjacke, das hübsche und schwere Kayak-Tütü-Röckchen, darüber die unförmige Schwimmweste; als einzige (aber überaus zuverlässige) Wärmequelle Milliarden herumschwirrender, innert Sekundenbruchteilen auf jedem exponierten Hautfleckchen brutal zustechenden Sandflies.

In einem Anfall von massloser Selbstüberschätzung buchten wir eine 4-tägige Kayak-Tour im Doubtful Sound, einem der grössten Fjorde im riesigen Fjordland National Park. Völlig ahnungslos über die uns erwartenden Strapazen stiegen wir frohgemut in den Bus von Christchurch nach Te Anau und freuten uns dort, einmal angekommen, über die schöne Landschaft mit strahlend blauem See vor eindrücklicher Bergkulisse. Diese Freude sollte nur kurz anhalten, denn am nächsten Morgen war bereits um 5 Uhr Tagwacht angesagt, damit uns der Tourguide um 10 vor 6 abholen konnte.

Fi war eine bemerkenswert aufgestellte, energische junge Frau, die bereits zu dieser unchristlichen Zeit viel Lebensfreude, klar erkennbar auf Vorfreude auf das Kayaken im Doubtful Sound, verströmte – ganz im Gegensatz zum Rest des Trüppchens, das im Minibus bereits klamm vor Kälte und eher schweigsam durch Müdigkeit sass. Wir fuhren durch schöne weite Landschaften an den nahegelegenen Lake Manapouri, einem wahrlich spektakulären Stausee umgeben von hohen, teilweise schneebedeckten Bergen. Nach der 45 Minuten dauernden Überfahrt auf dem Motorboot bis zur Manapouri Power Station, und einer weiteren 45-Minuten Fahrt im Allrad-Minibus über die teuerste Strasse Neuseelands (sie wird regelmässig über- bzw. teilweise weggeschwemmt, weswegen die hier operierenden Reiseveranstalter alle Fahrzeuge doppelt vor Ort haben – an jedem Ende des 10km Strässchens eines), kamen wir am Doubtful Sound endlich an. Zu dieser Zeit soundete das Ganze für mich bereits etwas doubtful, denn das konstante Umladen von massenweise Material, nebst unseren wenigen persönlichen Effekten auch massenweise Zelte, Outdoor-klappstühle, Outdoor Kochgeschirr in allen Variationen, Toilettenschaufeln und ähnlich wenig vertrauenserweckende Gegenstände, erinnerte mich da bereits irgendwie an die RS (für Nicht-Schweizer oder unvebesserliche Zivis: RS = Rekrutenschule = Basic Training der Schweizer Armee). Endgültig an die nur mit mässigen Freudegefühlen verbundene RS erinnerte mich dann Fi“s Voraussage, dass wir an diesem ersten Tag so etwa 30 Kilometer zu paddeln haben werden, und dass der Tag recht hart würde. (Kurz gesagt: er war es).

Nun wurden wir stufenweise mit den diversen Ritualen bekanntgemacht, welche uns die nächsten Tage versüssen sollten: das «alles Gemeinschaftsmaterial in die Kayaks», das «persönliche Gegenstände und Food in die vordere und hintere Luke des Kayaks», das immer wieder erfreuliche «die nassen Schichten» (wobei diese dabei zum ersten und letzten Mal ursprünglich trocken waren), also Socken, Sandflies, Badehose, Sandflies, Wetsuit, Sandflies, Regenjacke, Sandflies usw. etc., und schlussendlich das «gemeinsame Tragen des 100kg schweren Kayaks ins Wasser». Wenig überaschenderweise erfolgte bei diesem letzten Schritt der erste Kontakt mit dem natürlichen Element des Doubtful Sound: bislang warme, dicke Wollsocken verwandelten sich schlagartig und für 4 Tage endgültig in beinahe eiskalte (geschätzte Wassertemperatur: 14 Grad Celsius), triefend nasse Fussabkühlgeräte – was übrigens psychologisch ganz schön clever von den Kiwis ist, denn es erhöht die Bereitschaft zum paddeln merklich.

Die nun folgenden 24 oder so Kilometer (Fi war gnädig und hat uns Abkürzungen benutzen lassen – zumindest behauptete sie das) waren, wie man so sagt, wie im Flug vorbei – auf jeden Fall kann ich mich kaum an etwas erinnern, denn wir haben gepaddelt wir die Irren; jeder Galeerenbesitzer wäre stolz auf uns gewesen, und auf dem Sklavenmarkt hätten wir wohl Höchstpreise erreicht. Kurz vor Erreichen des sicheren Festlandes, das sich -Überraschung- durch Schwärme von Sandflies ankündigte, liess uns Fi plötzlich anhalten… sie hatte Delphine gesichtet. Diese kamen dann auch einigermassen in unsere Richtung geschwommen und gesprungen, und alle Sandflies sowie die Abrackereien der letzten Stunden waren natürlich sofort vollständig vergessen.

Die Campsite für die erste Nacht war dann, ganz gemäss dem Motto des Tour Operators, ziemlich „wilderness“ – mit anderen Worten hätte niemand je dort einen Campsite vermutet oder gar gefunden. Trotz oder gerade wegen des komplett fehlenden Komforts brachte dieser Abend zum ersten mal einen Geschmack dessen, was einen, nebst Sandflies und dauernasskalten Füssen, im Doubtful Sound erwartet: völlige Abgeschiedenheit, komplette Ruhe vor jeglichem Zivilsationslärm, absolut wilde Natur in Form eines üppig-grünen Regenwaldes, der an Dichtheit alles überbietet, was ich in Thailand oder Malaysia gesehen habe, und unglaublich majestätische Landschaftsbilder.

Nach einer eher kurzen Nacht brach dann Tag 2 an, der sich für mich zu einem Höhepunkt entwickeln sollte. Ohne übermässige Hetze konnten wir an diesem abwechselnd sonnigen (dann schwitzt man wie eine Dampfmaschine unter all dem Plastikzeugs – die Sonne in Neuseeland ist brutal stark) und regnerischen Tag (es regnet durchschnittlich 7 Meter pro Jahr in dieser Gegend – Meter, nicht Milli- Centi- oder Dezimeter, Meter) konnten wir an diversen Küsten und Inseln entlang gemütlich paddeln, immer wieder unterbrochen von Fi’s interessanten Ausführungen zur Natur, Geschichte und Geologie der Gegend. Gegend Ende Nachmittag waren wir schon fast am Campground 6 im «First Arm» angelangt, den Fi in den höchsten Tönen gelobt hatte („Luxuriös“ – das waren die Teppichstücke unter den Zelten, gegenüber den Wurzeln im Campground 5 ein klarer zivilisatorischer wir komfortmässiger Fortschritt – sowie vorallem „die Toilette“ – nicht die verrostete Schaufel der ersten Nacht, sondern ein Kübel mit Sitzmöglichkeit, schon beinahe ein Thron im Vergleich), und der Hunger machte sich schon unmissverständlich bemerkbar… als plötzlich all das vergessen war. Richtig geraten: Die Delphine waren wieder da. Offenbar einem angeborenen Instinkt folgend, verharrten wir alle ganz gebannt und beobachteten das Treiben der Flippers, immer darauf hoffend, dass sie in unsere Nähe kämen. Diese hatten aber kein Musikgehör für Fi’s Lockruf (ein eigentümliches Pfeifen), und blieben in sicherer Distanz. Trotzdem – vor dieser Kulisse, nach diesem Tag, ein sehr erhebendes Gefühl.

Der dritte Tag zeichnete sich vorallem durch seine Kürze aus, denn inzwischen war eine Wetterfront über das Fjordland gekommen. Nach einigen mehr oder minder spassigen Übungen «Paddeln gegen den Wind und die Strömung» gab Fi auf, und wir kehrten ins Camp zurück. Zum ersten Mal wurde einem da wirklich bewusst, wie sehr der Paddler im Doubtful Sound der Natur ausgesetzt ist, denn mit solchem Gegenwind hätten wir den Weg zurück unmöglich geschafft, und sogar unsere Superpaddler Ralf «die Kampfmaschine» aus Deutschland und Russell «The Hulk» aus New York hätten es wohl nur mit Mühe schaffen können. Es ist ja auch schon mehrfach vorgekommen, dass eine Tour länger als geplant im Sound bleiben musste, weshalb (dies als Tip für zukünftige Kayaking-Anwärter) zuviel Food immer besser ist als zuwenig – Fi’s Anekdoten zu diesem Thema waren überzeugend.

Am letzte Tag hatten wir dann das Glück, dass sich der Wind schon stark gelegt hatte. Dafür hatte Mutter Natur eine andere Überraschung bereit: sintflutartige Regenfälle. Morgens um sechs glich das Camp eher einem Bach oder Fluss mit einzelnen, zufällig hingeschwemmten Booten und Zelten, denn es goss sprichwörtlich wie aus Kübeln. Sogar der hartgesottene Ralf fand das beeindruckend: er sagte er wäre schon um Fünf aufgewacht mit dem Gefühl, dass der naheliegende Wasserfall bald ihn samt Zelt und Yvonne wegspülen würde. Da wir aber ja alle schon seid Tagen mehr oder minder feucht oder nass, zumindest nie wirklich ganz trocken gewesen waren, beeindruckte uns dies weniger als man annehmen könnte; ich fand es sogar ausgesprochen toll und genoss jede Sekunde.

Zurück im Hauptarm des Doubtful Sound, hatten wir zeitweise sogar leichten bis mässigen Rückenwind, was natürlich umgehend und zu aller Begeisterung zum Segeln verwendet wurde. Das Segeln mit Kayaks ist zwar recht anstrengend, aber immer auch sehr lustig und völlig unvorhersehbar, und vor allem viel weniger anstrengend als die Kilometerplackerei an den Paddeln. Ein weiterer Höhepunkt war aber auch, als nach dem letzten Sandflies-verseuchten (irgendwie sind die Viecher für ihre kurze, nur etwa 24 Stunden dauernde Lebenswerwartung – was ich übrigens als vollkommen gerechte Strafe für ihre komplett amoralische und demoralisierende Verhaltensweise empfinde – erstaunlich intelligent: sie sind immer dort in unvorstellbarer Anzahl vorhanden, wo man gerade hinwill, -geht, oder -muss. Immer.) Lunch liess der Wind nach, und wir konnten über die spiegelglatte Wasserfläche paddeln wie auf Öl, mit filmkulissenwürdiger Umgebung: Tälern, in denen man jederzeit Dinosaurier, King Kong, oder Orks vermuten könnte, tief herunterhängenden Wolkenschleiern, und riesigen, sich in den Sound ergiessenden Wasserfällen.

So blieb für alle am Schluss allen Strapazen und Sandflies zum Trotz eine denkwürdige Erinnerung an das Wilderness Experience Kayaking im Doubtful Sound… und umso mehr fiel auf, dass bei allen Teilnehmern, sogar bei Fi, der Gedanke an die bald folgende warme oder heisse Dusche mit Seife – welch absolut unvorstellbarer Luxus! – und ohne Sandflies ein eigentümliches Leuchten in den Augen auslöste. So war es dann auch: als sich am Abend alle im Redfern Restaurant in Te Anau (die beste Adresse am Ort) wieder trafen, war das Essen ein Festessen wie man es nur selten genossen hatte!